Bürgerämter müssen dauerhaft gestärkt werden

Aus SGK Berlin
Version vom 12. Dezember 2021, 19:16 Uhr von Kalle (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „thumb|200px|Oliver Igel'''Auch nach der Corona-Pandemie warten mehr Aufgaben''' ''von Oliver Igel, Bezirksbürgermeister Treptow-Köpenick'' Es ist nicht das erste Mal, dass die Situation in den Bürgerämtern zu einem heißen Sommer in der Öffentlichkeit und den Bezirksämtern führte. Es ist sogar jedes Jahr so, dass die Nachfrage kurz vor den Ferien und in der Sommerzeit stark ansteigt – man will eben in den Urlaub mit ei…“)

(Unterschied) ← Nächstältere Version | Bestätigte Version (Unterschied) | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Oliver Igel

Auch nach der Corona-Pandemie warten mehr Aufgaben

von Oliver Igel, Bezirksbürgermeister Treptow-Köpenick

Es ist nicht das erste Mal, dass die Situation in den Bürgerämtern zu einem heißen Sommer in der Öffentlichkeit und den Bezirksämtern führte. Es ist sogar jedes Jahr so, dass die Nachfrage kurz vor den Ferien und in der Sommerzeit stark ansteigt – man will eben in den Urlaub mit einem gültigen Pass oder einen internationalen Führerschein oder benötigt nach den Ferien für einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz ein Führungszeugnis. Diesen Sommer war die Situation schärfer als in den letzten Jahren.

Die Nachfrage ist enorm, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bürgerämter kommen schon lange nicht mehr dem wachsenden Bedarf an Terminen nach. Das ist nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger frustrierend, die weder online noch über die Telefonnummer 115 einen Termin buchen können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen ebenfalls unter einem immensen Druck. Über den gesamten Zeitraum der Corona-Pandemie waren Bürgerämter, Standesämter und Einbürgerungsbehörden geöffnet – die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nah an den Menschen gearbeitet. Zum Teil mussten aber auch Bürgerämter im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie eingesetzt werden: als Teams für die Kontaktnachverfolgung oder als Call-Center. In dieser Zeit und durch die bis heute geltenden Kontaktbeschränkungen und Abstandsregelungen konnten die Bürgerämter nicht 100 Prozent ihrer Leistungskraft entfalten – ein erheblicher Rückstau ist entstanden, denn Wohnungsumzüge finden dennoch statt, Pässe und Ausweise laufen ebenfalls ab. So hat sich eine Bugwelle an nicht erledigten Dienstleistungen aufgestaut. Und die Bürgerinnen und Bürger verlangen zurecht nach Erledigung ihrer Dienstleistungswünsche. Ob eine Ummeldung nach einem Umzug, ein neuer Personalausweis, ein Reisepass, ein Führungszeugnis, den Berlin-Pass oder einen internationalen Führerschein – die Bürgerinnen und Bürger Berlins sind auf funktionierende Bürgerämter in der Stadt angewiesen. Und das ist nur ein Ausschnitt der Dienstleistungen.

Dass es sehr schwer ist, Termine zu buchen, hat sich in der Stadt herumgesprochen. Inzwischen schauen Bürgerinnen und Bürger schon freiwillig in ihren Personalausweis, wann dieser abläuft und versuchen schon Monate vor dessen ablaufender Gültigkeit, einen Termin zu ergattern. Ungewollt steigern sie damit noch mehr die Nachfrage und verschärfen das Problem zusätzlich. Es ist kein Vorwurf, dass während der Corona-Pandemie – die ja auch noch nicht vorbei ist – nicht alle Dienstleistungen erfüllt werden konnten. Und deshalb muss jetzt etwas getan werden.

Es bedarf mindestens bis zum Jahresende entschlossenen Handelns, um die nicht erledigten Dienstleistungen zu erbringen und neue Aufgaben (Führerscheinumtausch) angehen zu können. Es müssen daher sofort umfangreiche personelle Unterstützungen für alle Bürgerämter in Berlin erbracht werden. In einem Zehn-Punkte-Plan als Sofortprogramm für Berlins Bürgerämter habe ich im Wesentlichen auf die Personalsituation abgehoben: das Personal ist der Schlüssel – auch für eine dauerhafte Lösung. Gerade weil es mehr Aufgaben geben wird und nicht weniger, weil die Nachfrage weiter steigen wird, muss es auch dauerhaft mehr Personal geben. Ein Anfang wären insgesamt 100 finanzierte Beschäftigungspositionen. Das entspricht etwa der Zahl der unbesetzten Stellen. Hilfe ist bei deren Ausbildung notwendig. Das müssen die Kolleginnen und Kollegen in den Bürgerämtern nebenbei machen – zulasten der Termine, aber immerhin mit der Aussicht, bald voll ausgebildete und einsetzbare Kolleginnen und Kollegen zu bekommen. Es darf auf jeden Fall nicht am Geld scheitern, zusätzliches Personal einzustellen. Weitere Punkte sind: Auszahlung von Überstunden, Stärkung mobiler Angebote und eine Entlastung der Bürgerämter bei Aufgaben als Wahlamt durch den Senat. Für eine mittel- und langfristige Entlastung der Bürgerämter sollten technische Neuerungen rasch eingeführt werden, die mehr Dienstleistungen ohne persönliches Erscheinen im Bürgeramt ermöglichen. Sollten dem noch andere rechtliche Grundlagen entgegenstehen, müssen diese neu gefasst werden.

Wir müssen den Blick auf das Personal richten. So geht die Diskussion über die Öffnungszeiten völlig fehl: ein Bürgeramt, welches 50 Stunden die Woche geöffnet wäre, in dem aber nur zwei, drei Mitarbeiter sitzen, kann auch nicht mehr leisten. Die Forderung nach Öffnungszeiten von 37 Stunden pro Woche ist deshalb eine Scheindebatte. Das Bezirksamt, welches bisher als einziges länger als 37 Stunden geöffnet hat, hat inzwischen zugegeben, dass die Mitarbeiter gar nicht 37 Stunden direkt am Bürger arbeiten, sondern auch im Backoffice Aufgaben erledigen und nur ein Teil in der Sprechstunde anwesend ist.

Ein Ziel eint uns: die Situation in den Bürgerämtern soll kein „Und täglich grüßt das Murmeltier“ werden. Deshalb müssen alle Bezirke mit einer Stärkung des Personals an einem Strang ziehen – und der Senat dies finanziell unterstützen. Dazu gehört auch, eine Lösung bezüglich der Anmietung von Gebäuden zu finden, um neue Standorte zu eröffnen, wenn genügend Personal da ist. Wer einmal eine Debatte mit Senat und Abgeordnetenhaus zum Thema Anmietung erlebt hat, wird nicht freiwillig auf die Idee kommen, sich irgendwo etwas zu suchen, wo ein neuer Bürgeramtsstandort mit genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eröffnet werden könnte. Hier muss es einen gemeinsamen Willen geben, die Angebotspalette an Standorten mit genügend Personal zu erweitern.


erschienen in Forum Nr. 106, September 2021