Berlin-Brandenburg – gemeinsam für eine starke Metropolregion

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Raed Saleh

von Raed Saleh, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus

Berlin befindet sich auch drei Jahrzehnte nach der Deutschen Teilung in einer besonderen räumlichen Situation. Die dicht besiedelte Metropole wurde zu Zeiten der Berliner Mauer durch das eher dünn besiedelte Brandenburger Umland umschlossen. In den vergangenen 30 Jahren hat sich jedoch in Brandenburg ein starker Ring um die deutsche Hauptstadt gelegt, der wie bei einer Zwiebel Schicht um Schicht in die Weite wächst. Die familiären, sozialen und wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Berlin und Brandenburg waren schon vor 100 Jahren und zur Gründerzeit von Groß-Berlin ausgeprägt. Durch den kontinuierlichen hohen Anstieg des Zuzugs nach Berlin und in den Brandenburger Speckgürtel in den vergangenen 15 Jahren sind die Verflechtungen glücklicherweise noch stärker geworden und stellen die Metropolregion Berlin-Brandenburg vor große Herausforderungen und vor große Chancen zugleich.

In Berlin-Brandenburg leben heute bereits sechs Millionen Menschen. Drei Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind hier tätig, vornehmlich im Dienstleistungsgewerbe, in der Gastronomie- und Tourismusbranche, in Politik und Verwaltung sowie zunehmend auch in Medizin und Forschung, genauso wie in den ständig anwachsenden, hochinnovativen Start-Ups. Jedes Jahr kommen viele weitere hinzu. Demographischen Prognosen zufolge könnte Berlin in zehn Jahren die 4-Millionen-Einwohner-Marke überschritten haben und auch die 2 Millionen Brandenburger in direkter Nachbarschaft könnten weiterhin kontinuierlich zunehmen.

Der enge Austausch zwischen beiden Bundesländern betrifft fast alle hier Lebenden und gehört für die Allermeisten zum Alltag. Hunderttausende Brandenburger pendeln täglich nach Berlin, um hier zu arbeiten. Umgekehrt fahren auch immer mehr Berliner ins Umland, wo sie ihren Job haben. Ein großer Anstieg dieser Berufspendler kommt durch den immer weiter fortschreitenden Ausbau des Wirtschaftsstandorts um den Flughafen BER dazu. Hier entsteht eines der dynamischsten und produktivsten Wirtschafts-Cluster in ganz Ostdeutschland, mit dem Großinvestor Tesla an der Spitze, dessen Engagement in der Metropolregion weltweit Aufmerksamkeit hervorgerufen hat.

Inzwischen zieht es auch immer größere Teile der Bevölkerung in den Speckgürtel, aufgrund der niedrigen Mieten oder um dort ein Haus zu erwerben. Kürzere Wege zu Jobs quasi vor der Haustüre werden dazu führen, dass die Herausbildung von unterschiedlichen dezentralen Wirtschaftszentren in der Metropolregion Berlin-Brandenburg noch zunehmen wird. Bereits heute gibt es starke Standorte in Berlin-Buch, in Adlershof, am und im erweiterten Umfeld um den Flughafen BER. In Marzahn-Hellersdorf hat sich in den vergangenen Jahren ein wirtschaftlicher Schwerpunkt der mittelständischen Wirtschaft herausgebildet, der wiederum nach Brandenburg ausstrahlt. Wer in diesen dezentral gelegenen Standorten arbeitet, hat meist einen kürzeren Weg zwischen Arbeit und Wohnen zurückzulegen. Die brennenden Fragen nach Schulen, grenzüberschreitenden ÖPNV-Angeboten, nach medizinischer Versorgung und allen anderen Fragen der Infrastruktur und öffentlichen Versorgung stellen sich nun dringender denn je. Allen dürfte klar sein, dass diese Fragen nur grenzüberschreitend sinnvoll gelöst werden können.

Aktuell wird in der Politik ein Zusammenschluss der beiden Bundesländer Berlin und Brandenburg nicht diskutiert. Die Politik beider Länder muss dringend Fragen der Verkehrsplanung, der Schullandschaft, der Wirtschaftsförderung und vieles mehr gemeinsam angehen, die für die Metropolregion von entscheidender Bedeutung sind. Wir müssen dringend Strukturen finden, wie die anstehenden Herausforderungen gemeinsam gelöst werden können. Wir brauchen eine weite engere politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenarbeit und Koordinierung als bislang. Zum klaren Vorteil beider Länder.

Die gemeinsame Koordinierung der verschiedenen Politikfelder würde die direkte Nachbarschaft, aber auch weiträumige Planungen betreffen. Wir müssen sicherstellen, dass der Speckgürtel und die Außenbezirke harmonisch wachsen, dass ein kluges Angebot des öffentlichen Lebens gewährleistet ist, keine Doppelstrukturen oder weiße Flecken auf der Landkarte entstehen. Auch müssen wir klug planen, damit kein Wildwuchs auftaucht, der später nur mit viel Aufwand wieder behoben werden kann. Stichworte sind hier Zersiedelung, Bodenversiegelung, fehlende Frischluftschneisen für die Metropole oder Ähnliches.

Großdenken heißt für mich in diesem Zusammenhang nicht nur groß im Sinne von räumlich, sondern auch groß im Sinne von umfangreich und vielschichtig, was die Politikfelder anbelangt. Wir stehen vor enormen Herausforderungen, deswegen habe ich im letzten Jahr die Einrichtung eines gemeinsamen Ausschusses in den Parlamenten angeregt. In diesem Gremium – ähnlich einer Enquetekommission - sollten wir abseits des Tagesgeschäfts Empfehlungen für künftige Planungen erarbeiteten. Etwa, was die Verkehrsinfrastruktur für die Metropolregion anbelangt, die Bildungsstruktur inklusive der Hochschullandschaft, die heute schon weit über die die Berliner Landesgrenzen hinausweist und vieles mehr. Wir müssen die medizinische Versorgung, die wirtschaftliche Versorgung nach den unterschiedlichen Einzugsgebieten planen, genauso wie die ausreichende Ausstattung mit Naherholungsgebieten und Freizeiteinrichtungen. Für die Bürgerinnen und Bürger ist es wichtig, dass wir gute Entscheidungen auch über die Ländergrenzen hinweg gemeinsam treffen können.

Wie wichtig eine solche Koordinierung ist, zeigen aktuell schon einige Beispiele: In meinem Heimatbezirk Spandau zum Beispiel gibt es den Brunsbütteler Damm, eine vierspurig ausgebaute Ausfallstraße vom Berliner Zentrum Richtung Nord-Westen. Doch die Straße endet seit vielen Jahren im buchstäblichen Nichts, weil das Land Berlin bis zur Stadtgrenze den Anschluss an eine nahe gelegene Brandenburger Landstraße baute – die Brandenburger ihrerseits jedoch die notwendigen fehlenden Kilometer nicht schließen ließen. Solche Fälle sind ärgerlich und kostspielig und den Anliegerinnen und Anliegern kaum zu erklären. Auch die gegenwärtige Pandemie hat uns die Notwendigkeit funktionierender Absprachen zwischen den Ländern noch einmal aufgezeigt, denn es ist kaum vermittelbar, wenn etwa die Berliner Möbelhäuser alle infektionsschutzbedingt schließen müssen, das Möbelhaus 300 Meter hinter der Brandenburger Grenze aber auf einmal öffnen darf und sich dorthin Menschenmassen auch aus Berlin begeben.

Ein positives Beispiel wie ich mir die Entwicklung der Metropolregion vorstelle, ist die geplante Verlängerung der U-Bahnlinie U7 bis zum Flughafen BER. Der Ausbau wäre die erste U-Bahnlinie, welche über die Berliner Landesgrenze hinausgehen würde. Dafür ist eine enge, hoch professionelle Planung notwendig. Umso erfreuter war ich, als kurz nach Bekanntgabe der weitergehenden, sehr konkreten Planungen durch den Berliner Senat die verantwortlichen Ministerien in Potsdam das gemeinsame Ziel bestätigt und ihren Willen zu einer guten und intensiven Zusammenarbeit in der Frage bekräftigt haben. Die Verlängerung der U7 von Berlin-Rudow mehrere Kilometer über die Stadtgrenze hinaus bis zum neuen Terminal des BER ist der Lackmustest für die zukünftige Kooperation. Ich bin dafür sehr optimistisch.

Ähnlich ambitioniert sind die Ideen, was die generelle Erweiterung der Verkehrsverbindungen nach Brandenburg betrifft. Egal ob bei Straße oder Schiene, wir brauchen kluge Konzeptionen, um die Beweglichkeit der vielen Menschen sicherzustellen. In und um Berlin gibt es genug Nadelöhre, die wir angehen müssen. Viele davon befinden sich an der Schnittstelle der beiden Bundesländer. Und auch die bestehenden Regio- und S-Bahnlinien müssen erweitert werden, um ein noch größeres Umland um die Metropole Berlin anzuschließen. Noch heute gibt es teilungs- und kriegsbedingte Wunden im Schienennetz, die von Bund, Berlin und Brandenburg endlich zügig gemeinsam beseitigt werden müssen. Und es braucht neue Verbindungen, etwa ins Brandenburger Havelland. Insgesamt brauchen wir mehr S-Bahn- und Regionalbahn-Linien mit einer höheren Taktung. Dafür wollen wir bis ins nächste Jahrzehnt rund 10 Milliarden Euro investieren. Wenn wir es dann noch hinbekommen, an günstigen Standorten ausreichend Park-and-ride-Parkplätze einzurichten, dann sind wir schon sehr weit gekommen. Sicher ist, die Verkehrswende schaffen Berlin und Brandenburg nur mit dem Bund zusammen gemeinsam.

Besonders die Metropole Berlin ist auf ein durchdachtes und leistungsfähiges Verkehrskonzept angewiesen. Die hohe Popularität der deutschen Hauptstadt strahlt auf das Umland direkt ab und bringt auch dort wirtschaftliches Wachstum. Kurz vor der Corona-Pandemie bewegte sich die Zahl der jährlichen Übernachtungen in Berlin auf 35 Millionen zu, was einem globalen Spitzenwert entspricht. Durch den neuen Flughafen, den Ausbau auch des europäischen Netzes für Hochgeschwindigkeits- und Nachtzüge, durch die immer intensivere Vernetzung der Wirtschaft europäischer Nachbarn wie Polen boomt die Region zusätzlich. Berlin und Brandenburg werden in den kommenden zehn Jahren zu den dynamischsten Wachstumsregionen in Europa gehören, davon bin nicht nur ich überzeugt, sondern auch immer mehr Ökonomen.

Auch im Energiebereich sollten wir die Vorteile unserer Länder als Metropole und Flächenland besser gemeinsam planen und nutzen. Sie stellen die ideale Voraussetzung dar, um den gemeinsamen Ballungsraum im Sinne einer „Smart City“ miteinander zu verknüpfen und die jeweiligen Stärken auszuspielen. Brandenburg kann dabei hervorragend für den Aufbau neuer, grüner Erzeugungskapazitäten genutzt werden. In Kombination mit den ehrgeizigen Zielen Berlins, was den Ausbau der Solarenergie und dem Ziel der Klimaneutralität anbelangt, entstünde hier ein wegweisendes nachhaltig-ökologisches Wachstumsprojekt, das sicher deutschlandweit Aufmerksamkeit erfahren würde. Die Stärken Berlins bleiben die Forschung und die Infrastruktur, beispielsweise an den Standorten der Siemensstadt 2.0 oder dem kommenden Forschungs- und Industriestandort Berlin-Tegel (Urban Tech Republic). Die Stärken Brandenburgs bleiben die weiträumigen Entwicklungspotenziale.

Auch im Bereich des Tourismus können wir noch viel voneinander lernen und profitieren. Brandenburg verfügt nicht bloß über eine inspirierende Vielfalt an Grünflächen und Seenlandschaften, die viele Berlinerinnen und Berliner zu schätzen wissen, um am Wochenende dort Rad zu fahren, ausgedehnt spazieren oder essen zu gehen. Die historische Potsdamer Altstadt mit dem Museum Barberini, oder der Spreewald mit dem Tropical Islands sind nur zwei Beispiele für attraktive Tourismusziele, die dazu beitragen, dass die gesamte Metropolregion für Touristen aus der ganzen Welt immer spannender wird.

Die Herausforderungen für Berlin-Brandenburg sind gewaltig. Deshalb sollten wir sie auch gemeinsam angehen. Ein zuständiger Ausschuss mit Abgeordneten aus beiden Bundesländern könnte hier wichtige Weichenstellungen vornehmen. Berlin und Brandenburg befinden sich in dieser einzigartigen räumlichen Lage mitten in Europa. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind aufgefordert, mit Weitblick das Beste daraus zu machen.


erschienen in Forum Nr. 105, März 2021