Das Bürgergeld ist da

von Annika Klose, Mitglied des Deutschen Bundestages

Annika Klose

Das Bürgergeld ist da - Doch was ändert sich konkret?

Das Bürgergeld ist die größte sozialpolitische Reform der letzten 20 Jahre. Mit dieser Reform schaffen wir einen wichtigen Baustein für einen Sozialstaat, der den Bürger:innen auf Augenhöhe begegnet, Lebensleistung respektiert, sie in guten wie auch in schlechten Zeiten real absichert und ein Leben in Würde garantiert.

Als Haupt-Berichterstatterin für die SPD-Bundestagsfraktion durfte ich dieses Gesetz mit erarbeiten und ich freue mich sehr darüber, dass wir nun auf viele konkrete Verbesserungen blicken können.

Was ändert sich durch das Bürgergeld ganz konkret?

  • Vereinfachter Zugang durch Karenz auf Wohnraum und Vermögen. Ein Jahr wird Erspartes, bis zu 40.000 Euro pro Person, sowie der Wohnraum nicht angetastet oder gegengerechnet. Für jede weitere Person im Haushalt werden zusätzlich 15.000 Euro freigestellt. Zudem werden der private PKW als auch die private Altersvorsorge nicht mehr dem Schonvermögen angerechnet. Wer arbeitslos wird, soll sich erstmal auf die Jobsuche konzentrieren können, ohne sich direkt eine neue Wohnung suchen zu müssen sowie aus dem sozialen Umfeld gerissen zu werden.
  • Mehr Augenhöhe durch Kooperationsplan und Schlichtungsstelle. Der Kooperationsplan wird zwischen Jobcentermitarbeitenden und Leistungsbezieher:innen gemeinsam erarbeitet. Hier wird individuell und verständlich festgelegt, wie der Weg in Arbeit gestaltet werden soll. Weiterbildung und Qualifizierung werden gleichrangig unterstützt, wie die Aufnahme eines neuen Jobs. Der Vermittlunsvorrang ist somit aufgehoben. Sollte kein Kooperationsplan zustande kommen, kann von beiden Seiten eine gesetzlich verankerte Schlichtungsstelle angerufen werden.
  • Positive Anreize statt Drohkulisse. Der erste Kontakt mit dem Jobcenter geht nicht mehr mit der Androhung von Sanktionen einher. Wer normal mitarbeitet, soll mit der Androhung von Sanktionsmöglichkeiten gar nicht mehr in Berührung kommen. Das Bürgergeld setzt statt einer Drohkulisse auf positive Anreize. Diese wurden durch das Weiterbildungsgeld (150 Euro) und den Bürgergeldbonus (75 Euro) gesetzlich verankert.
  • Empowerment von jungen Menschen. Bislang wurde der Zuverdienst von Schüler:innen, Studierenden oder Auszubildenden, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, den Leistungen ihrer Eltern angerechnet. Arbeit soll sich jedoch lohnen. Daher haben wir die Zuverdienstgrenzen für Schüler:innen, Studierende und Auszubildende auf monatlich 520 Euro angehoben und auch der vollständige Erwerb aus Ferienjobs darf nun behalten werden.
  • Mehr im Geldbeutel. Der Regelsatz im Bürgergeld wurde um 53 Euro erhöht auf 502 Euro. Zudem bietet die Neuberechnung einen besseren Inflationsausgleich.
  • Gute Arbeit der Jobcenter stärken und bewahren. Um die Jobcenter und ihre Mitarbeiter:innen stärker zu entlasten, sollen einige Prozesse stärker entbürokratisiert werden. Zu diesem Ziel tragen u.a. die Regelungen wie die Karenzzeit oder die Einführung der Bagatellgrenze bei.Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass die Jobcenter einen bedarfsgerechten Personalschlüssel erfüllen können, um die Leistungsberechtigten individuell zu betreuen.

Der Weg zum Bürgergeld war steinig: Auf die Zustimmung des Bundestages folgte die Ablehnung durch den Bundesrat und ein Vermittlungsausschuss. Viele Änderungswünsche der Union konnten wir verhindern und die beschriebenen Kernbestandteile bleiben erhalten, auch wenn einige Zugeständnisse nötig waren. Damit gingen auch falsche Behauptungen um das Bürgergeld einher. Einige konkrete Ziele und Maßnahmen des Bürgergeldes wurden verzerrt dargestellt und haben teilweise Fragen oder sogar Zweifel in Bezug auf das Bürgergeld aufgeworfen.

Diese Vorbehalte gilt es richtigzustellen:

Lohnt sich arbeiten seit der Einführung des Bürgergeldes überhaupt noch?

Es kursieren aktuell immer noch viele Berechnungen, die das Bürgergeld und geringe Einkommen vergleichen und so zeigen wollen, dass sich Arbeit nicht mehr lohnen würde und die Regelsätze im Bürgergeld zu hoch seien. Gemein ist allen diesen Rechenspielen: Sie wollen einseitig polarisieren, spalten und Menschen ohne Einkommen und solche mit niedrigem Erwerbseinkommen gegeneinander ausspielen. Unterstützungsleistungen und unterstützende Regelungen für Menschen mit niedrigem Einkommen werden dabei oftmals unterschlagen.

Viele der Berechnungen gehen etwa bei einer vierköpfigen Familie von einem alleinverdienenden Elternteil aus. Auch werden Leistungsansprüche wie das Wohngeld oder der Kinderzuschlag, die Personen und Familien mit geringen Einkommen beantragen können, nicht eingerechnet.

Bei diesen Berechnungen werden für Einpersonenhaushalte beispielsweise sehr hohe Mieten angesetzt oder andere Leistungen wie das Wohngeld, der Kinderzuschlag oder andere Ansprüche nicht eingerechnet.

Trotzdem ist es wichtig, in der Debatte deutlich zu machen, dass die Löhne dringend steigend müssen und dass wir die Menschen auch mit niedrigem Einkommen im Blick haben. Neben der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro stehen für uns starke Gewerkschaften und starke Tarifverträge weiterhin im Vordergrund. Gute Arbeit und ein guter Lohn müssen auf verschiedenen Wegen gestärkt werden.

Wer bezieht eigentlich Leistungen?

Auch über die Gruppe derjenigen, die derzeit und potenziell Leistungen beziehen, gab es Aussagen und Annahmen, die nicht der Realität entsprechen.

Im Jahr 2021 waren ca. 3,79 Millionen Personen im SGB II (umgangssprachlich „Hartz IV“) Bezug. Das ist eine historisch niedrige Zahl. Die Menschen im Leistungsbezug sind keineswegs „faul“ und es ist auch nicht so, dass sie sich keine Mühe geben, eine Arbeit zu finden – solche Aussagen sind stigmatisierend und sollten so nicht stehen bleiben. Auch der Begriff „arbeitslos“ trifft nicht auf alle Personen im Leistungsbezug zu und ist daher irreführend. Gerade deshalb, weil es sich bei den Menschen im Leistungsbezug um eine sehr heterogene Gruppe handelt.

Denn fast ein Viertel der Leistungsbezieher:innen sind sogar erwerbstätig, sprich: Sie müssen ihr Gehalt durch Sozialleistungen aufstocken, weil ihr Einkommen nicht zum Leben reicht oder weil sie nur eine geringfügige Beschäftigung (z.B. einen Minijob) haben. Zu dieser Gruppe gehören überproportional alleinerziehende Eltern und insbesondere alleinerziehende Mütter, die aus verschiedenen Gründen Unterstützung brauchen. Zudem haben sehr viele Menschen im Leistungsbezug „Vermittlungshemmnisse“. Sie sind also nicht so einfach in Arbeit zu vermitteln, da sie z.B. gesundheitliche Einschränkungen haben und sich leider viele Arbeitgeber:innen schwer damit tun, sie anzustellen.

Wie überall im Leben gibt es auch unter Menschen im Leistungsbezug vermutlich einzelne Ausnahmen, doch lässt sich klar festhalten, dass die überwältigende Mehrheit dieser Gruppe auf unsere Unterstützung und Solidarität angewiesen ist – und diese auch unbedingt bekommen sollte.

Mit dem Bürgergeld und seinen Maßnahmen konnten wir konkrete Verbesserungen und Abhilfe für die Leistungsempfänger:innen schaffen, die es die letzten 20 Jahre nicht gegeben hat. Im Laufe der Legislatur werden wir zudem noch ein zweites Gesetzespaket auf den Weg bringen, mit welchem wir die aktive Arbeitsmarktpolitik und die Zuverdienstgrenzen neu regeln werden. Das Bürgergeld ist ein echter sozialpolitischer Meilenstein. Nun müssen wir auf eine gute Umsetzung achten. Dafür sind wir als Gesetzber:innen auf Bundesebene gefragt, aber auch kommunale Sozialpolitiker:innen.


erschienen in Forum Nr. 108, März 2023