Demokratie am Arbeitsplatz macht die EU fit für die Zukunft

Aus SGK Berlin
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Gabriele Bischoff

von Gaby Bischoff, Mitglied des Europäischen Parlaments

Europa nach der Krise: ein sozial nachhaltiger Wiederaufbau

Wir haben uns viel vorgenommen in der EU. Parallel zum Wiederaufbau unserer Wirtschaft nach der Covid-19-Pandemie wollen wir die digitale Transformation der Arbeitswelt mitgestalten und dem Klimawandel entgegenwirken. Kein Wunder also, dass der Ruf nach einer Demokratisierung der Wirtschafts- und Arbeitswelt immer lauter wird – sei es aus der Wissenschaft oder aus der Praxis. Die Menschen wollen mitentscheiden, wie wir diese großen Herausforderungen angehen und selbst Lösungsvorschläge einbringen, statt unter die Räder zu geraten. Wie können wir sicherstellen, dass bei diesen Umwälzungen in der EU niemand auf der Strecke bleibt? Wie erreichen wir einen gerechten Übergang, bei dem Jobs erhalten bleiben und Nachhaltigkeitsstrategien umgesetzt werden? Die Antwort ist klar: mit einer starken Mitbestimmung.

Als die Wirtschaft während des Lockdowns heruntergefahren wurde, haben wir beispielsweise gesehen, dass Beschäftigte mit Tarifverträgen oder betrieblicher Interessenvertretung besser dastanden. Ihr Kurzarbeitergeld wurde in vielen Fällen zusätzlich aufgestockt und hatten am Ende des Monats mehr Geld zur Verfügung.

Die Mitbestimmung bleibt zu häufig auf der Strecke

Doch nicht alle Arbeitnehmer*innen konnten von der Kurzarbeit profitieren. Wir mussten beobachten, dass einige Unternehmen die Pandemie für Restrukturierungen genutzt haben – inklusive der Kürzung von Arbeitsplätzen. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen wird ebenfalls steigen. In Berlin kann sicherlich jede*r mindestens eine Kneipe, ein Café oder einen Laden nennen, der die langen Schließzeiten nicht überstanden hat.

Unser Stadtbild wird außerdem zunehmend durch Fahrradfahrer*innen mit kastenförmigen Rucksäcken geprägt, die Einkäufe oder Essen ausliefern. Die wenigsten von ihnen können sich mit Fragen oder Problemen an einen Betriebsrat wenden oder sind sozial abgesichert.

Auch in Unternehmen mit einer gewählten Vertretung der Arbeitnehmer*innen berichten die Betriebsrät*innen, dass ihre Informations- und Konsultationsrechte in vielen Fällen ignoriert wurden. Darauf habe ich im vergangenen Jahr immer wieder aufmerksam gemacht: mit Briefen an die Kommission, in Online-Debatten oder mit der Unterstützung einer Petition der Europäischen Gewerkschaften.

Wenn Mitbestimmungsrechte umgangen werden, leiden nicht nur die Arbeitnehmer*innen. Denn bereits die Finanzkrise 2008 hat gezeigt, dass mitbestimmt Unternehmen besser aus schwierigen Zeiten hervorgehen. Studien zeigen, dass Unternehmen mit starker Mitbestimmung mehr ausbilden, Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern umsetzen und nachhaltiger agieren. Kurz gesagt: sie sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft ein Stück weit fairer und gleichberechtigter wird.

Ein Initiativbericht für mehr Demokratie am Arbeitsplatz

Die EU ist nicht nur ein gemeinsamer Markt, sie ist eine Wertegemeinschaft und zu Recht stolz auf die einzigartige Errungenschaft ihres Sozialmodells mit Informations-, Konsultations- und Beteiligungsrechten für Arbeitnehmer*innen.

Allerdings gibt es aktuell fast 40 verschiedenen EU-Richtlinien in den Bereichen Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz, die eine Beteiligung der Arbeitnehmer*innen vorsehen. Es ist ein Flickenteppich aus unterschiedlichen, teilweise widersprüchlichen Regelungen entstanden, der zu einem Mangel an Rechtssicherheit für alle Beteiligten führt.

Aus diesem Grund habe ich im Juni 2021 einen Entwurf für einen Initiativbericht vorgelegt, der eine Verbesserungen an den bestehenden Gesetzestexten wie dem Gesellschaftsrechts oder der Eurobetriebsrats-Richtlinie fordert. Außerdem strebt mein Bericht Mindeststandards durch einen neuen EU-Rahmen für Unterrichtung, Anhörung und Mitarbeiterbeteiligung an. Am 01. Juli haben wir das erste Mal im Sozial- und Beschäftigungsausschuss über meinen Entwurf debattiert. In der anschließenden Anhörung haben führende Expert*innen aus verschiedenen Mitgliedsstaaten deutlich gemacht, wie dringend ein neuer EU-Rahmen für die Demokratie am Arbeitsplatz notwendig ist. Die Unterrichtung und Anhörung von Arbeitnehmer*innen in der EU ist ein Menschenrecht und in der Charta der Grundrechte der EU verankert. Trotzdem bleibt dieses Recht vielen EU-Bürger*innen verwehrt und insbesondere marginalisierte Gruppen wie Saisonarbeiter*innen haben kaum Möglichkeiten, um sich gegen Willkür und Ausbeutung am Arbeitsplatz zu wehren.

Nun geht es darum, den Bericht mit Änderungsanträgen zu ergänzen, damit er im Herbst dieses Jahres im Ausschuss angenommen und für die Abstimmung im Plenum im November 2021 vorbereitet werden kann.

Die Demokratie am Arbeitsplatz sollte ein Schlüsselelement zur Gestaltung des Wandels in der EU werden, damit Arbeitnehmer*innen eine Stimme haben und die Veränderungen in der Arbeitswelt mitgestalten und beeinflussen können. Sie dürfen diesem Transformationsprozess nicht machtlos unterworfen sein. Nur so können wir einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Aufschwung für alle schaffen – in einem mitbestimmten Europa.


erschienen in Forum Nr. 106, September 2021