Europäisch leben und wählen

Wie die EU das Wählen für mobile EU-Bürger*innen erleichtern will

Gabriele Bischoff

von Gaby Bischoff, Mitglied des Europäischen Parlaments

Es ist eine erschreckende Zahl. Bei der Wiederholungswahl am 12. Februar konnten 800.000 Menschen, die in Berlin leben und keinen deutschen Pass haben nicht über ihre politische Vertretung im Abgeordnetenhaus abstimmen. Sie leben, lieben, arbeiten hier. Vielleicht haben sie sogar Kinder in Berlin auf die Welt gebracht. Trotzdem können sie nicht über die politische Ausrichtung in unserer Stadt mitbestimmen. Sie können nicht entscheiden, wie die Bildung für ihre Kinder ausgestaltet wird oder wie sich die Verkehrspolitik entwickelt. Das wollen wir ändern – unserer Demokratie und den Berliner*innen zu Liebe.

400.000 der Berliner*innen ohne deutschen Pass sind EU-Bürger*innen. Sie dürfen zwar nicht an der Wahl zum Abgeordnetenhaus oder Bundestag teilnehmen, können aber auf kommunaler Ebene ihre Stimme abgeben und somit in Berlin ihre Bezirksverordnetenversammlung wählen. Leider gibt es für „mobile“ EU-Bürger*innen Hürden, die ihnen das Wählen erschweren. Es geht um 11 Millionen wahlberechtigte Menschen, die in einem EU-Land leben, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. Sie sind oft mit viel Verwaltungsaufwand oder Sprachbarrieren konfrontiert. Manchen fehlen schlicht die notwendigen Informationen in ihrer Muttersprache. Wählen ist ein demokratisches Grundrecht und darf nicht zum Hindernisparcours werden.

Im EU-Parlament haben wir deshalb einen Bericht auf den Weg gebracht, der mobilen EU-Bürger*innen das Wählen erleichtern soll. Der Bericht sieht unter anderem vor, dass Wähler*innen bzw. Kandidat*innen Informationen zum Ablauf der Wahl in ihrer Muttersprache erhalten. Einige Arbeitnehmer*innen in der EU wechseln ihren Aufenthaltsort mehrmals im Jahr. Deshalb sollen Mindestanforderungen an die Aufenthaltsdauer in einem Land abgeschafft werden. Außerdem soll die Zivilgesellschaft aktiv in die Informationskampagnen im Vorfeld von Kommunalwahlen eingebunden werden. Zuletzt werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, geeignete, auf ihre nationalen Wahlvorgänge zugeschnittene Vorkehrungen zu treffen, um Bürger*innen mit Behinderungen die Stimmabgabe zu erleichtern.

EU-Bürger*innen dürfen außerdem in dem EU-Staat, in dem sie leben, an der Europawahl teilnehmen. Eine Spanierin, die in Berlin lebt, kann entscheiden, ob sie in ihrer Heimat oder bei uns wählen geht. Aber vielen Menschen ist unklar, wie sie sich zur Wahl registrieren können und welche Möglichkeiten zur Stimmabgabe es gibt. Deshalb haben wir im Verfassungsausschuss des EU-Parlaments bereits Anfang des Jahres Vorschläge auf den Weg gebracht, die sich auf die Europawahl beziehen. Wir wollen administrative Hürden abbauen und Informationen regelmäßig, zeitnah und in verschiedenen EU-Sprachen verfügbar machen. Die Wahltraditionen sind sehr verschieden in der EU und es bedarf an Aufklärung. Zuletzt sollen EU-Bürger*innen direkt bei der Anmeldung ihres Wohnsitzes im Bürgeramt entscheiden können, ob sie beispielsweise in Berlin oder ihrer Heimatstadt wählen möchten.

Mir ist es sehr wichtig, dass sich möglichst viele EU-Bürger*innen an der nächsten Wahl – der Europawahl 2024 - beteiligen können. Deshalb hoffe ich, dass die EU-Staaten unsere Vorschläge aus dem EU-Parlament ernst nehmen und umsetzen. Als nächsten Schritt gehen wir das Wahlrecht für alle anderen Menschen an, die hier dauerhaft leben, arbeiten und Steuern zahlen. Sie geben unserer Stadt viel und haben ein demokratisches Mitspracherecht verdient.


erschienen in Forum Nr. 108, März 2023