Generation Corona?

Warum wir jetzt einen Schwerpunkt auf Jugendpolitik setzen sollten

Rona Tietje

von Rona Tietje, Bezirksstadträtin für Jugend, Wirtschaft und Soziales in Pankow

Für Kinder und Jugendliche waren die letzten eineinhalb Jahre besonders schwierig. Monatelang geschlossene Schulen und Kitas, kaum Kontakt zu Gleichaltrigen, kein Sportverein, keine Party – viele hat das sehr belastet. Auch die Jugendarbeitslosigkeit ist in dieser Zeit überproportional gestiegen. Besonders dramatisch: Es leiden vor allem diejenigen, die es schon vorher schwer hatten. Beengte Wohnverhältnisse, prekäre Jobs der Eltern, Sprachschwierigkeiten, fehlende Unterstützung aus dem Elternhaus – Corona hat die sozialen Unterschiede wie durch ein Brennglas verschärft.

Das ist ein gewichtiger Grund, den Fokus in den kommenden Jahren stärker auf Jugendpolitik zu setzen. Jugendpolitik darf sich nicht auf Bildungspolitik beschränken. Die Belange von Kindern und Jugendlichen müssen umfassend berücksichtigt werden, wenn alle gut durch die Krise kommen sollen. Das Programm „Aufholen nach Corona“, das Franziska Giffey als Bundesfamilienministerin auf den Weg gebracht hat, ist ein wichtiger Schritt. Es besteht aus vier Säulen. Die erste hat den Abbau von Lernrückständen zum Ziel und konzentriert sich vor allem auf Schule. Die zweite setzt bei den ganz Kleinen an: Mit der Unterstützung von Sprachkitas und der Bundesstiftung Frühen Hilfen. Die dritte beinhaltet den Ausbau außerschulischer Angebote und Ferienfreizeiten. Die vierte Säule schließlich stärkt die Sozialarbeit und Begleitung für Kinder im Alltag. Das Programm zeigt sehr gut, wie ein ganzheitlicher Ansatz funktionieren kann.

Auf Landes- und Bezirksebene ist es jetzt wichtig, Strukturen zu schaffen und zu erhalten, die langfristig angelegt sind. Mir sind hierbei vier Dinge besonders wichtig:

1. Früh anfangen: Jugendpolitik beginnt nicht im Jugendclub. Sie ist dann besonders wirksam, wenn sie früh anfängt. Deshalb brauchen wir das Familienfördergesetz. Es ist die Grundlage dafür, dass wir in allen Berliner Bezirken vielfältige Angebote für die Unterstützung von Familien haben. Auch die Angebote der Frühen Hilfen, die Familien während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren begleiten, müssen gestärkt werden.

2. Kein Sparen in der Krise: Wir brauchen gut ausgestattete außerschulische Angebote für Kinder und Jugendliche, in denen gut bezahlte Fachkräfte arbeiten. Das Jugendfördergesetz war hier ein wichtiger Schritt. Es wird sein Ziel aber nur erreichen, wenn die Umsetzung konsequent fortgeführt und auch in den nächsten Jahren bei Angeboten für junge Menschen nicht gespart wird.

3. Mitreden lassen: Klimakrise, Corona-Krise, Wirtschaftskrise – viele Jugendliche haben das Gefühl, dass ihre Generation von Herausforderungen überrollt wird. Umso wichtiger ist es für sie, zu erleben, dass ihre Stimme gehört wird. Kinder- und Jugendbeteiligung muss Standard in der Verwaltung sein – nicht nur im Jugendamt, sondern in allen Ämtern.

4. Stadt für Jugendliche: Kinder sind im öffentlichen Raum weitgehend akzeptiert. Jugendlichen wird oft kein Raum zugestanden – aus Angst vor Lärm, Müll etc. Corona hat das Misstrauen noch verschärft, weil die Medien ständig von sog. „Corona-Partys“ in Parks berichten. Oft können sich Jugendliche aber nur draußen treffen. Hier muss in der Stadtplanung neu gedacht werden. Es braucht mehr Plätze für Jugendliche – und mehr Akzeptanz durch uns Erwachsene.

Gute Jugendpolitik braucht auch immer engagierte Menschen, die sie vertreten. Deshalb wünsche ich mir, dass wir auch in der kommenden Wahlperiode viele Bezirksverordnete und Bürgerdeputierte für die Mitarbeit in den Kinder- und Jugendhilfeausschüssen gewinnen können. Gerade jetzt braucht Jugend mehr denn je eine gewichtige Lobby!


erschienen in Forum Nr. 106, September 2021