SPD nur noch zweitstärkste Partei

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Sven Heinemann

von Sven Heinemann, Landesgeschäftsführer der SPD Berlin, MdA

Erstmals seit 21 Jahren ist die SPD bei den Berliner Wahlen am 12. Februar 2023, der ersten Wiederholungswahl in der Geschichte der Stadt, nur noch zweitstärkste Kraft auf Landesebene geworden. Diesen Platz nahm die SPD zuletzt bereits durchgehend bei den Berliner Wahlen zwischen 1975 und 1999 ein. Die jüngst erreichten 18,4 Prozent der Stimmen bedeuten aber das schlechteste Ergebnis der SPD in Berlin überhaupt. Die CDU liegt mit 28,2 Prozent nun rund zehn Prozentpunkte vor der SPD und die Grünen nur noch weniger als 100 Stimmen hinter der SPD mit dem gleichen Prozentergebnis.

Die SPD hat 2023 von 78 Abgeordnetenhaus-Wahlkreisen nur noch vier direkt gewonnen. Das führt zu der stadtweiten Wahlergebnisgrafik, die in der Mitte Berlins einen grünen Kern (20 Direktwahlkreise) zeigt und drumherum im Wesentlichen nur noch einen schwarzen Kreis (48 Direktwahlkreise). Tino Schopf in der Mitte der Stadt (Wk Pankow 9), Derya Caglar (Neukölln 3) und Orkan Özdemir (Tempelhof-Schöneberg 3) südlich des S-Bahn-Rings, und Lars Düsterhöft (Treptow-Köpenick 2) im Südosten der Stadt, markieren die sozialdemokratischen Inseln. Die Linke kommt ebenfalls auf vier Direktwahlkreise in Lichtenberg (2), Friedrichshain-Kreuzberg und Treptow-Köpenick, die AfD auf zwei in Marzahn-Hellersdorf.

Das Wahlergebnis für das Abgeordnetenhaus hat zu zahlreichen Ausgleichs- und Überhangmandaten für die SPD-Fraktion geführt, die deshalb letztendlich mit einem blauen Auge davongekommen ist: Die Fraktion hat lediglich zwei Mandate eingebüßt und zählt jetzt 34 Abgeordnete. Dennoch ist die Fraktion ordentlich durchgeschüttelt worden: Zehn Abgeordnete, darunter fünf, die erstmals 2021 in das Abgeordnetenhaus gewählt worden sind, scheiden aus und acht Abgeordnete kommen neu in die Fraktion.

Und auch in den Bezirken ist das Ergebnis für die SPD nicht erfreulich: In keinem der zwölf Bezirke steht die SPD nach den Berliner Wahlen noch an erster Stelle. In vier Bezirken ist sie zweitstärkste Kraft geworden, in sieben Bezirken nur noch drittstärkste Kraft, und in Pankow ist die SPD sogar nur noch auf dem vierten Platz gelandet. Das führt berlinweit nicht zuletzt zum Verlust von BVV-Mandaten, sondern auch zum Verlust von einigen Bezirksamtssitzen.

Die SPD verzeichnet auf Landesebene Stimmengewinne von den Grünen (12.000) und in geringem Ausmaß von der Linken und der FDP (je 2.000). Die stärksten Verluste verzeichnen die Sozialdemokraten (so wie alle anderen Parteien) ans Nichtwählerlager (57.000) und in leicht geringerem Ausmaß an die CDU (53.000) – das betrifft vor allem Wählerinnen und Wählern Ü60.

An der Mobilisierung der Mitglieder ist dieser Wahlkampf trotz widriger Bedingungen nicht gescheitert: Die aktiven Mitglieder der SPD Berlin haben im Winter 2022/2023 einen sehr intensiven Wahlkampf gemacht. Dank der zahlreichen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer war die SPD 90 Tage lang auf den Straßen und Plätzen der Stadt, an den Bahnhöfen, in Einkaufsstraßen und -zentren, an den Haustüren unterwegs, hat Infostände gemacht und verschiedenste Materialien zur Landes- und Bezirkspolitik sowie Heißgetränke und Schokoherzen verteilt. Dabei wurden hunderttausende Gespräche mit den Berlinerinnen und Berlinern geführt. Als SPD sind wir in diesem Wahlkampf mit unserer Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey, der mit Abstand beliebtesten Politiker*in Berlins, und mit einer Kampagne für mehr sozialen Zusammenhalt angetreten. Ausschlaggebend dafür waren der große Abstand von Franziska Giffey zu ihren Konkurrenten bei den Beliebtheitswerten sowie die genannten Themen Wohnen und Krisenbewältigung im Ergebnis von beauftragter Wahlforschung.

Gerade auch nach den Ereignissen der Silvesternacht in Teilen unserer Stadt ist das Soziale der Kern der Kampagne geblieben. Dabei war Wahlkampf war vor allem im Januar von starker Polarisierung seitens der politischen Mitbewerber geprägt. CDU und Grüne konnten mit dieser Strategie erfolgreich Wählerinnen und Wähler mobilisieren, wenn es auch nicht im Interesse des politischen Klimas in der Stadt und dem sozialen Zusammenhalt gedient hat. Die SPD ist, durch die Silvesterdebatte und deren Auswirkungen auf die politische Diskussion (Innere Sicherheit und funktionierende Stadt) auf der einen Seite und durch die Diskussion um die Friedrichstraße (Auto- und Verkehrspolitik, Klimaschutz) auf der anderen Seite von CDU und Grünen gleichermaßen attackiert worden.

Nach dem Urteil zur Wiederholungswahl war es vor allem das Bild der funktionierenden Stadt, dass besonders auf Kosten der SPD litt. Hinzu kommt die geringe Wahlbeteiligung (-12,3 Prozent im Vergleich zu 2021), die sich vor allem für die SPD negativ auswirkte. Über ein Drittel der Wählerinnen und Wähler wählte die SPD wegen unserer Spitzenkandidatin Franziska Giffey.

Erste Wahlanalysen machen für das schlechte Ergebnis hauptsächlich eine Protestbewegung zur CDU verantwortlich. Trotzdem kommen CDU und SPD zusammen auf weniger als 50 Prozent der Stimmen. Gleichzeitig soll die SPD aber nach Umfragen von vor und nach der Wahl weiterhin die Senatspolitik mitbestimmen, auch wenn sie dabei das Rote Rathaus einbüßt. Die stabilste Koalition ist paradoxerweise weiterhin die bisherige rot-grün-rote Koalition mit 90 von 159 Stimmen im Abgeordnetenhaus, gefolgt von Schwarz-Rot oder -Grün mit je 86 Stimmen.

Der SPD-Landesvorstand hat direkt am Montag nach der Berlinwahl das Ergebnis konstruktiv beraten und beschlossen, dass die SPD für Sondierungsgespräche mit allen gewählten demokratischen Parteien bereitsteht. Je dreimal wurde deshalb mit der CDU und den bisherigen Koalitionspartnern sondiert (das Ergebnis stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest).

Es geht für die SPD darum, gemeinsam mit Partnern das Beste für Berlin und für die Ziele der Berliner Sozialdemokratie herauszuholen. Das Wahlergebnis hat deutlich gezeigt, dass es ein einfaches „Weiter so“ nicht geben darf. Die Berlinerinnen und Berliner haben deutlich gemacht, dass sie besonders in den Bereichen Sauberkeit, Sicherheit, Verkehr, Verwaltungsreform und Wohnungsbau noch nicht zufrieden mit der bisherigen Regierungsarbeit sind. Deshalb muss die SPD hier zu deutlichen Verbesserungen und zu Veränderungen kommen und die eigenen Positionen in Zukunft nicht nur klar vertreten, sondern auch effektiv durchsetzen. Die Partei setzt sich für eine soziale und sichere sowie funktionierende Stadt, für eine wirtschaftsstarke, vielfältige und nachhaltige Metropole Berlin ein. Damit sich Berlin auch künftig erfolgreich entwickeln kann, braucht es eine Kraft, die die das Soziale stärkt und die ganze Stadt im Blick hat. Gerade in Zeiten von multiplen internationalen Krisen ist das eine Chance für die SPD.

Der SPD Berlin muss es schnellstmöglich gelingen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Denn bereits im kommenden Jahr steht im Frühling die Europawahl an. Im Herbst 2025 findet regulär die Bundestagswahl statt. Und im Herbst 2026 folgen dann schließlich die nächsten Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus.

Die Berliner SPD ist weiterhin mit rund 20.000 Genossinnen und Genossen die mitgliederstärkste Partei Berlins und sieht sich als Berlin-Partei und führende progressive Kraft für die gesamte Stadt. Doch dieses Selbstverständnis passt nicht zum Wahlergebnis. Deshalb ist es im Jahr des 160-jährigen Bestehens der SPD Berlin umso wichtiger, dass sich die Partei fit macht für die Zukunft und für die nächsten Wahlkampagnen sowie auf aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen reagiert und das Wahlergebnis aufarbeitet. Dabei machen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung Anfang 2023, das Ergebnis der Berliner Wahlen 2023 und die Folgen sowie die enormen Preissteigerungen, beispielsweise für Großveranstaltungen und Parteitage, organisatorische Anpassungen erforderlich. Deshalb will die SPD Berlin mit einer breit aufgestellten Kommission des Landesvorstands parallel zur „OrgaKomm“ des SPD-Parteivorstands die Grundlage für erfolgreiche künftige Wahlkampagnen in der Hauptstadt legen. Ziel muss es sein, die SPD Berlin wieder zu einer schlagkräftigen Mitgliederpartei mit einer modernen Parteiorganisation fortzuentwickeln und die Partei zu neuer Stärke als führende politische Kraft Berlins zu führen.


erschienen in Forum Nr. 108, März 2023