Termin beim Bürgeramt in Berlin?

Kommunalpolitik für Fortgeschrittene – eine Reflexion zu gemeinsamer Verantwortung von Bezirken und Senat

Sabine Smentek

von Sabine Smentek, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport

Alle sind sich einig: Bürgerämter sind die Visitenkarte von Politik und Verwaltung – hier wird entschieden, ob Bürgerinnen und Bürger ihre Kommune als bürgernah oder bürokratisch – serviceorientiert oder gleichgültig wahrnehmen. Warum gerade Bürgerämter? Sie sind der häufigste Kontakt, den Bürgerinnen und Bürger „zum Amt“ haben.

Das Berliner Konzept des Bürgeramtes sieht vor, dass viele Angelegenheiten nicht beim Fachamt sondern eben im Bürgeramt erledigt werden können. In Berlin werden hier 67 Dienstleistungen angeboten – nicht nur Personalausweis, Reisepass oder Anwohnerparkausweise werden hier beantragt. In Hamburg werden in den Bürgerämtern nur halb so viele Dienstleistungen angeboten, dafür sind in den dortigen Bürgerämtern aber bezogen auf die Einwohnerzahl genauso viele Menschen beschäftigt…. Hier liegt der Schlüssel für zeitnahen Service.

Mit der digitalen Verwaltung kam in Berlin die Idee für einen besseren Service in der ganzen Stadt auf: Bürger*innen müssen nicht in ihrem Bezirk zum Bürgeramt sondern können ihre Angelegenheiten in jedem der über 40 Bürgerämter erledigen – z.B. in der Mittagspause oder auf dem Weg zum Sport. Gute Idee – und technisch möglich, da alle Bürgerämter die gleiche Technik benutzen. Das bezirksunabhängige Angebot zog ein bezirksübergreifendes Terminmanagement nach sich. Termine kann man berlinweit online (www.service.berlin.de) oder beim Bürgertelefon 115 vereinbaren – wenn es denn welche gibt….

Moderne Verwaltung: einheitlicher Service, einheitliche Technik, mehr Personal als noch vor einem Jahr– und es gibt keine Termine?! Jeden Tag können derzeit alle Berliner*innen, Politiker*innen und Journalist*innen scheinbar das Scheitern der Verwaltung an der Terminübersicht im Internet ablesen: alles rot in den nächsten 6 Wochen – kein Termin frei. Was ist da passiert?

War es falsch, das 14-Tage-Ziel zu vereinbaren?

In der Koalitionsvereinbarung von r2g steht ein messbares Ziel für den Service der Bürgerämter: innerhalb von 14 Tagen soll es einen Termin in einem Bürgeramt für jede*n Bürger*in geben. Eigentlich kein Hexenwerk, oder? Aber keine Frage der Technik. Termine gibt es nur dann, wenn genügend Personal eingesetzt wird. Heute gibt es über 100 Beschäftigte mehr in den Berliner Bürgerämtern als zu Beginn der Legislaturperiode und noch immer ist das 14-Tageziel nicht erreicht. Einige Akteure stellen jetzt infrage, ob das Ziel selbst so sinnvoll ist…. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass 2 Wochen Wartezeit auf einen Termin in einer Verwaltung schon ziemlich lange ist. Bürger*innen kommen nicht freiwillig, sondern müssen aufgrund bestehender Gesetze zum Amt. Da ist es Aufgabe der Politik, ihnen dies auch zeitnah zu ermöglichen.

Ist Corona schuld am Terminchaos?

„Ja“ – durch den lockdown wurden im letzten Jahr berlinweit rund 250.000 Dienstleistungen weniger erbracht als im Jahr 2019. Da es sich heirbei überwiegend um Pass- und Meldeangelegenheiten handelt, haben sich diese Bürgeramtstermine nicht etwa erledigt – sie werden gerade nachgeholt. Aber wann, wissen wir nicht – es gibt keine Zeitvorgabe, wann man den Reisepass verlängert, wann also wie viele Bürger*innen für diese Dienstleistung in ein Bürgeramt kommen. Ja, Corona hat das Problem verschärft.

Und gleichzeitig: „Nein“ – auch vor Corona war es keine Selbstverständlichkeit, innerhalb von 14 Tagen einen Termin zu bekommen. In den Wochen vor dem Ausbruch von Corona gab es Diskussionen zwischen Senat und Bezirken, wie das Terminangebot verbessert werden kann. Wenn Corona nicht gekommen wäre, hätte es möglicherweise eine viel größere Kontroverse zwischen Senat und Bezirken gegeben, auf welche Art das Serviceversprechen der Bürgerämter realisiert werden könne. Corona hat die Diskussion um mehr Termine nur um ca. 12 Monate unterbrochen….und durch den beschriebenen Rückstand das Problem verschärft. Seit 1. Juli ist wieder fast das gleiche Angebot möglich wie vor Corona.

Ist die Aufhebung der überbezirklichen Arbeit die Lösung?

In den letzten Wochen haben mehrere Bezirksbürgermeister*innen (übrigens aller politischer Farben) behauptet, wenn sie nur noch für Bürger*innen zuständig wären, die in ihrem Bezirk wohnen, dann gäbe es in ihrem Bezirk kein Problem. Interessante Aussage…. Zum Einen ist in mehreren Bezirken seit Jahren weniger Personal vorhanden als in anderen (bezogen auf die Zahl der Einwohner*innen des Bezirks). Im Klartext übernehmen also andere Bezirke das Angebot für einige Bezirke mit. Würde die berlinweite Zuständigkeit aufgehoben, gäbe es in einigen Bezirken Warteschlangen rund um das Rathaus und in anderen Bürgerämtern gähnende Leere. Eine Zielvereinbarung, die hier eine gleiche Personalausstattung pro Einwohner*innen vorsieht, wird derzeit übrigens gerade in diesen Tagen nicht von allen Bezirken unterschrieben.

Ist das Modell der gemeinsamen Verantwortung nur für Zeiten, wo alle klappt, geeignet?

Zu Beginn der Legislaturperiode haben fast alle Bezirke euphorisch gemeinsame Standards und Kennzahlen für mehr Transparenz der Arbeit der Bürgerämter entwickelt. In dem Augenblick, wo Leistungsunterschiede durch das Monitoring deutlich wurde, in dem Augenblick, wo es ein Problem gab, schien das Interesse an gemeinsamen Lösungen nicht mehr bei allen vorhanden zu sein – ich meine hier sowohl Senat wie Bezirke. Noch immer werden nicht in allen Bezirken die Maßnahmen umgesetzt, die zu einem größeren Terminangebot führen würden. Noch immer stimmen die Beschäftigtenvertretungen nicht in jedem Bezirk zu, wenn vorübergehend und freiwillig Samstags oder Abends die Bürgerämter länger geöffnet bleiben sollen.

Aber es ist auch einges passiert – im Juli gab es 35.000 Termine mehr als im Mai – erstmals über 150.000 Termine pro Monat! Innerhalb von nur 11 Wochen wurde in Mitte ein zusätzliches Bürgeramt geschaffen. Zur Wahrheit gehört leider aber auch, dass die Bezirkspolitik außer SPD und Linke nicht gerade unterstützend dabei war. Trotzdem: Senat, Bezirk, BIM GmbH und ITDZ haben hier gemeinsam unglaubliches geleistet! In 8-10 Bezirken soll es längere Öffnungszeiten geben, auch Samstags. Über 40 Personen mehr arbeiten heute in den Bürgerämtern, 38 davon sind von der Senatsverwaltung für Inneres ausgewählt und den Bezirken zur Verfügung gestellt worden (Zur Wahrheit gehört auch hier leider, dass die Bezirke die möglichen 100 Beschäftigten nicht abgerufen haben….einige Bezirke haben keinen Bedarf an zusätzlichem Personal gemeldet.

In einigen Wochen stehen Koalitionsverhandlungen an… die neue Koalition wird mehrere Grundfragen beantworten müssen:

1. Bauen wir weiterhin darauf, dass alle Bezirke und alle Senatsverantwortlichen in allen Phasen einer Krise gemeinsam die Verantwortung für eine Aufgabe solidarisch wahrnehmen und die Krise lösen? Nach den Diskussionen der letzten Jahre im Bereich der Bürgerdienste bin ich nicht mehr so sicher….Nicht alle BezirkspolitikerInnen nehmen Verantwortung über ihren Kirchturm hinaus wahr. Nicht alle Senatsvertreter*innen arbeiten mit den Bezirken auf Augenhöhe – gerne wird den Bezirken zusätzliche Arbeit ohne zusätzliches Personal verordnet.

2. Wie viel Personal braucht man wirklich in den Bürgerämtern? Sich Hamburg hier zum Vorbild zu nehmen, bedeutet für die Berliner Bürgerämter dauerhaft mehr Personal als heute. Eine Arbeitsgruppe wird hier in den nächsten Wochen Ergebnisse vorlegen. Die Berliner Politik wird entscheiden müssen, für welche Aufgaben in der Berliner Verwaltung mehr Personal gebraucht wird. Bürgerservice wäre eine gute Prioritätenentscheidung.

3. Ist standardisierter Bürgerservice überhaupt eine kommunale Aufgabe im Sinne von kommunal zu gestalten? Oder ist eine zentrale Organisation besser in der Lage, auch dezentrale Standorte zu managen? Nach meinen Erfahrungen in den zentral gemanagten KfZ-Zulassungsstellen bin ich relativ unsicher, wie diese Frage zu beantworten sein wird. Wieso KfZ-Zulassungsstellen? Da ist doch gerade gar keine Krise?

Eben.


erschienen in Forum Nr. 106, September 2021