Mit Leitlinien Bürgerleid ersparen

Aus SGK Berlin
Oliver Igel

Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger auf der Kiezebene neu aufstellen

von Oliver Igel, Bezirksbürgermeister Treptow-Köpenick

Wer kennt die Kritik nicht: „Uns hat ja niemand gefragt, niemand informiert.“ Es sind mitunter kleine Veränderungen im Kiez, die bei Bürgerinnen und Bürgern Kritik hervorrufen – in der Sache selbst, manchmal aber auch nur, weil ein Vorhaben überraschend umgesetzt wurde. Die Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse sind nach wie vor häufig im Verborgenen. Das Interesse an der Gestaltung des unmittelbaren Lebensumfeldes, des Kiezes, bleibt aber bei den Bürgerinnen und Bürgern hoch.

Das Bezirksamt Treptow-Köpenick hat nun Leitlinien für die informelle Bürgerbeteiligung beschlossen. Sie knüpfen einerseits an den Gesamtberliner Leitlinienprozess an, andererseits sollen sie die gesetzlich geregelten Beteiligungsformen – zum Beispiel im Rahmen von Bebauungsplanverfahren – ergänzen. Treptow-Köpenick gehört damit zu den ersten Bezirken mit abgestimmten Leitlinien zur Bürgerbeteiligung. Der Weg dahin war selbstverständlich ein Beteiligungsprozess – Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung traten in einen zwei Jahre umfassenden Trialog mit insgesamt zehn intensiven Veranstaltungen.

Die Bürgerinnen und Bürger sollen auswählen dürfen, für welche Vorhaben und Prozesse sie ein Beteiligungsverfahren wünschen. Es sollen vor allem Vorhaben sein, über die das Bezirksamt und/oder die BVV entscheiden kann. Es können, müssen aber keine Investitionsvorhaben sein. Es kann zum Beispiel auch die Neukonzeption einer bezirklichen Begegnungsstätte sein, aber eben auch jede Maßnahme aus dem Investitionsprogramm des Bezirks. Es können und sollen aber auch städtische Gesellschaften (Infrastrukturmaßnahmen der Wasserbetriebe, Wohnungsbauvorhaben der landeseigenen Wohnungsgesellschaften) und Private bei wichtigen Vorhaben eingeladen werden, ein Beteiligungsverfahren gemäß den Leitlinien durchzuführen.

Beteiligung geht nur gemeinsam – und so haben alle Akteure in dem Verfahren Rechte, aber auch Pflichten und Verantwortungen. Gebündelt wird dies alles in einer Anlaufstelle für Bürgerbeteiligung. Dort können sich Bürgerinnen und Bürger hinwenden und auch Verfahren vorschlagen. Die Anlaufstelle agiert als Lotse, informiert und zeigt Mitwirkungsmöglichkeiten auf. Die laufenden Vorhaben des Bezirks und anderer Dritter, die ein Beteiligungsverfahren starten, sollen in einer Vorhabenliste veröffentlicht werden.

Nicht nur aufgrund der Coronavirus-Pandemie, sondern auch weil immer mehr Bürgerinnen und Bürger unabhängig von Zeit und Ort an Beteiligungsprozessen teilhaben wollen, werden mehr Verfahren in den digitalen Raum verlegt. Beteiligungsplattformen, Abstimmungen, Live-Streaming oder Videokonferenz sollen jedoch keinesfalls die klassische Beteiligung ersetzen, sondern sie ergänzen. Die zentrale Berliner Beteiligungsplattform im Internet unter „mein.berlin.de“ wird hierfür bereits eifrig genutzt und bestückt. Hier haben wir bereits bemerkt, dass wir Bürgerinnen und Bürger erreichen, die wir vorher nicht erreicht haben.

Um den digitalen Austausch auf der Kiezebene weiter zu fördern, setzt Treptow-Köpenick auf die Nachbarschaftsplattform „SoNaTe“. Übersetzt heißt die klangvolle Plattform „Soziale Technik und Nachbarschaft“. Die Plattform ist genossenschaftlich organisiert und datensicher. Hier werden im Gegensatz zu anderen Plattformen eben nicht für kommerzielle Zwecke Daten der Bürgerinnen und Bürger abgeschöpft. Genau das macht es aber auch schwer für die Plattform, sich durchzusetzen. Es steht kein großes Kapital dahinter. In Treptow-Köpenick läuft die SoNaTe als Pilotprojekt, um zu untersuchen, inwiefern Verwaltung, soziale Träger und engagierte Bürgerinnen und Bürger auch digital näher und schneller kooperieren können. Sämtliche Themen, aber auch Angebote, die für eine Nachbarschaft interessant sind, sollen darüber kommuniziert und diskutiert werden. Kommunikation und Information ist alles – und stets der Beginn eines Beteiligungsprozesses. So soll niemand mehr sagen können: „Ich habe ja gar nicht gewusst, was bei mir hier um die Ecke gerade wieder passiert.“


erschienen in Forum Nr. 105, März 2021