Agenda zur Verwaltungsreform im Land Berlin

Aus SGK Berlin

Senatsvorlage zur Beschlussfassung für die Sitzung am Dienstag, den 17.10.2023

Berichterstatter: Der Regierende Bürgermeister von Berlin

Beschlussentwurf:

I. 1. Der Senat nimmt Kenntnis von der durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – mit Senatsvorlage Nr. S - /2023 – vorgelegten Agenda zur Verwaltungsreform im Land Berlin.

2. Die Vorlage ist zunächst dem Rat der Bürgermeister zu unterbreiten.

3. Die Beschlussfassung über die Vorlage wird bis zum Vorliegen der Stellungnahme des Rats der Bürgermeister zurückgestellt. Der Rat der Bürgermeister wird gemäß § 16 Absatz 1 Satz 4 GGO II um Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten – spätestens nach seiner regulären Sitzung am TT. MM 2023 – gebeten. II. Eine Vorlage an das Abgeordnetenhaus ist nicht erforderlich.

III. Der Beschluss ist von dem Regierenden Bürgermeister – Senatskanzlei – zu bearbeiten.

Begründung:

Berlin kann als Stadt nur funktionieren, wenn auch die öffentliche Verwaltung funktioniert – und zwar aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft. Denn: Berlin hat eine Verwaltung verdient, die dieser Stadt und ihren Bürgerinnen und Bürgern dient. Alle Berliner Behörden müssen sich als eine gemeinsame Verwaltung verstehen, um die Aufgaben der Stadt gemeinsam zu bewältigen.

Der Senat ist davon überzeugt, dass das Land Berlin eine grundlegende Reform der Verwaltung erfahren muss. Für eine auf allen Ebenen funktionierende, zukunfts- und handlungsfähige Stadt bekennt sich der Senat deshalb mit dieser Senatsvorlage zu einer Agenda zur Verwaltungsreform im Land Berlin. Es geht darum, dafür zu sorgen, dass Berlin jeden Tag ein Stück besser funktioniert. Die Koalition aus CDU und SPD will „das Beste für Berlin“ – auch und vor allem in Sachen Berliner Verwaltung.

Berlin hat in der Vergangenheit bereits umfangreiche Grundlagenarbeit zu wichtigen Strukturfragen geleistet und der Berliner Senat hat sich noch vor der Wiederholungswahl im Februar dieses Jahres mit einem Eckpunktepapier zur Verwaltungsreform befasst – für klare Verantwortung, gesamtstädtische Steuerung und starke Bezirke. Ziel des Senats war dabei, mit einer Verwaltungsreform Prozesse und Verfahren zu vereinfachen, zu beschleunigen und Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirken klar zu regeln.

Mit dieser Senatsvorlage greift der Senat in seiner neuen Zusammensetzung die vorhandenen Grundlagen auf und leitet gleichzeitig eine neue Phase der Verwaltungsreform ein, die auch vor grundlegenden Veränderungen nicht Halt machen wird. Dieser Senatsbeschluss ist der Beginn und die Grundlage eines umfangreichen Reformprozesses sowie eines strukturierten Diskussions- und Beteiligungsprozesses, der ein enges Zusammenspiel zwischen Senat, Abgeordnetenhaus und Bezirken voraussetzt. In dem Reformprozess müssen zudem die Interessen von Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft, Stadtgesellschaft, Behörden auf allen Ebenen sowie von deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit einbezogen werden.

Klar ist dabei, dass eine grundlegende Reform der Berliner Verwaltung einen andauernden Prozess darstellt. Entscheidend ist deshalb, die Weichen jetzt in die richtige Richtung zu stellen. Klare Aufgabe für den verbleibenden Zeitraum dieser Legislaturperiode ist es, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, sodass Berlin die beschlossenen Reformmaßnahmen anschließend umsetzen und Schritt für Schritt in Richtung einer funktionierenden Stadt gehen kann. Für eine funktionierende Stadt braucht Berlin eine Verwaltung mit klarer Verantwortung und transparenter Aufgabenverteilung zwischen Senat, Bezirken und nachgeordneten Behörden. Erster wichtiger Bestandteil einer umfassenden Reform der Berliner Verwaltung muss deshalb eine Neuordnung der bisherigen Zuständigkeitsregelungen sein – einfachgesetzlich, wo nötig aber auch verfassungsrechtlich.

Im Zentrum der Neuordnung steht hierbei die Ablösung des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes (AZG) durch ein neues Gesetz, das die Aufgabenverteilung und die Zusammenarbeit in der Berliner Verwaltung neu regelt. Dieses soll die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar festlegen und in einem Zuständigkeitskatalog die Aufgaben der Hauptverwaltung sowie der Bezirke jeweils eindeutig benennen - und nicht nur (wie bisher) die Aufgaben der Hauptverwaltung. Dabei orientiert sich der Senat an den im Eckpunktepapier dargelegten Grundsätzen – insbesondere hinsichtlich der Aufgaben- und der Zuständigkeitsverteilung. Die Einführung eines Schlichtungsverfahrens zur Klärung von Zuständigkeitsfragen zwischen der Haupt- und Bezirksverwaltung wird angestrebt, eine Neuordnung der Aufsicht über die Bezirke wird geprüft. Zudem sollen die Leitungsaufgaben der Senatsverwaltungen nach Art. 67 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (Planung, Grundsatzangelegenheiten, Steuerung, Aufsicht) einfachgesetzlich konkretisiert werden.

Die angestrebten Änderungen sollen die Hauptverwaltung stärken, Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung wahrzunehmen – während die Bezirke in ihrer Rolle als Verwaltungseinheiten vor Ort gestärkt werden sollen. Hierbei bekennt sich der Senat ausdrücklich zum Prinzip der Zweistufigkeit der Berliner Verwaltung. Im Zusammenhang mit der Erarbeitung eines neuen Gesetzes wird ein Prozess gestartet, der den Aufgabenkatalog im Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz überarbeitet, sowie die Geschäftsverteilung des Senats und des Produktkatalogs der Berliner Bezirke aufeinander abstimmt. Auch bei diesem Prozess handelt es sich um einen gemeinsamen Prozess beider Verwaltungsebenen – also der Hauptverwaltung und der Bezirke. Im Vordergrund steht hierbei ein modernes und kooperatives Verständnis der Zusammenarbeit von Haupt- und Bezirksverwaltung. In diesem Prozess wird auch geprüft, wie bei der Neuordnung Verwaltungsverfahren optimiert, verschlankt und beschleunigt sowie Behördenwege verkürzt werden können – beispielsweise durch die Vereinfachung von Genehmigungsverfahren bis hin zu Genehmigungsfiktionen. Ein neues, modernes Verständnis von öffentlicher Verwaltung soll geschaffen und das Verhältnis zwischen Berlinerinnen und Berlinern und der Verwaltung umgekehrt werden. Ziel des Senats ist, dass nicht die Bürgerinnen und Bürger die Verwaltung suchen, sondern umgekehrt. Die Verwaltung sollte den Bürgerinnen und Bürgern aufzeigen, wo Dienstleistungen angeboten werden oder sie beispielsweise darauf hinweisen, wenn ihre Ausweisdokumente zu verlängern sind.

Zugleich werden die Aufgabenbereiche der Berliner Verwaltung auf Doppelzuständigkeiten geprüft und gegebenenfalls freiwerdende Kapazitäten effektiver eingesetzt. Bei der Einführung neuer Verwaltungsvorschriften sollte jeweils der Grundsatz „One-in-One-Out“ geprüft werden.

Um den Kulturwandel in der Berliner Verwaltung zu fördern, soll ein landesweites Qualitätsmanagement institutionalisiert werden, das auch die Optimierung von Verwaltungsprozessen mit in den Blick nimmt. Ziel ist, dass die Verwaltungsprozesse agiler, resilienter und evidenzbasierter werden und die Prozesse zwischen Land und Bezirken effizienter aufeinander abstimmt sind.

Instrumente der gesamtstädtischen Steuerung zur Optimierung von Verwaltungsprozessen und ihrer Ergebnisse werden gestärkt. Ein wichtiges Instrument der kooperativen Zusammenarbeit auf Augenhöhe bleiben dabei Ziel- und Projektvereinbarungen, deren Verbindlichkeit erhöht werden soll. Die politisch unabhängige Stellung der Bezirksverwaltung bleibt davon unberührt.

Um die Stellung der Bezirke zu stärken, werden die Etablierung einer Geschäftsstelle des RdB, ein Initiativrecht des RdB gegenüber dem Abgeordnetenhaus und eine stärkere Mitbestimmung des RdB bei Senatsbeschlüssen, sowie die Stärkung der Rolle der Bezirksbürgermeisterinnen bzw. der Bezirksbürgermeister geprüft. Damit die kontinuierliche Einbindung der Bezirke im Reformprozess gewährleistet ist, wurde im Leitungsbereich des Regierenden Bürgermeisters in einem ersten Schritt beim Stab der Chief Digital Officer (CDO) eine Verbindungsstelle für die Bezirke eingerichtet. Zudem hat der Rat der Bürgermeister bereits einen Ausschuss für die ständige Begleitung der Verwaltungsreform eingesetzt.

Mit dieser Senatsvorlage bekennt sich der Berliner Senat dazu, für die Neuordnung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in einen umfassenden Prozess für eine grundlegende Reform der Berliner Verwaltung einzutreten. Im Rahmen des Ausarbeitungs- und Beteiligungsprozesses werden auch verfassungsändernde Maßnahmen geprüft.

Um das Ziel einer grundlegenden Reform für eine funktionierende Stadt zu erreichen, müssen sowohl die Hauptverwaltung als auch die Bezirke zu einer grundlegenden Verwaltungsreform bereit sein und gemeinsam in einem strukturierten Beteiligungsprozess zusammenarbeiten. Neben den Verantwortlichen auf Landes- und Bezirksebene sowie im nachgeordneten Bereich muss in diesem Beteiligungsprozess auch die Stadtgesellschaft mit ihren zahlreichen Netzwerken und Multiplikatoren eng in den Reformprozess mit einbezogen werden.

Der strukturierte Beteiligungsprozess soll bereits unmittelbar nach der Befassung des Senats mit dieser Vorlage gestartet werden. Ziel ist, die Expertise und Perspektiven der genannten Akteurinnen und Akteure aufzunehmen und in den weiteren Reformprozess mit einfließen zu lassen. Das Konzept für den strukturierten Beteiligungsprozess findet sich in der Anlage zu dieser Senatsvorlage und kann als Grundlage für weitere Modernisierungsbausteine genutzt werden. Dabei ersetzt der Beteiligungsprozess nicht die formellen Beteiligungsverfahren nach der GGO II.

Bei der Durchführung des Beteiligungsprozesses sowie dem gesamten weiteren Reformprozess muss ein umfassender Interessensausgleich aller Beteiligten durchgeführt werden. Letztlich ist der Erfolg einer grundlegenden Reform der Berliner Verwaltung maßgeblich von der Kompromissbereitschaft aller Beteiligten abhängig. Klar ist: am Ende wird jeder Zuständigkeiten abgeben müssen, am Ende wird jeder zu alleiniger Zuständigkeit bereit sein müssen. Und am Ende müssen die getroffenen Zuständigkeitszuordnungen von allen Beteiligten gemeinsam getragen und gemeinsam auf allen Ebenen umgesetzt werden – für das gemeinsame Ziel einer funktionierenden Stadt.

Für eine auf allen Ebenen funktionierende, zukunfts- und handlungsfähige Stadt stellt die Neuordnung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten nur einen ersten Schritt dar. Für eine grundlegende Modernisierung der Berliner Verwaltung müssen weitere Maßnahmen folgen, die eng miteinander verzahnt sein müssen.

Zentraler Baustein für eine funktionierende Verwaltung sind deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Entwicklung des Personalbestandes und die gleichzeitig steigende Aufgabenlast bringen die Berliner Verwaltung aber bereits jetzt an die Grenzen der Leistungsfähigkeit. Damit Berlin auch in Zukunft noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen und auch halten kann, braucht Berlin ein modernes Personalmanagement. Um die Zukunftsfähigkeit der Berliner Verwaltung langfristig zu sichern, hat sich der Senat deshalb bereits darauf verständigt, die bisherige Personalpolitik umfassend weiterzuentwickeln und schnellstmöglich an die Anforderungen der kommenden Jahre anzupassen. Mit dem Personalentwicklungsprogramm 2030 ist dafür eine wesentliche Grundlage gelegt, auf Basis derer unter Federführung der Senatsverwaltung für Finanzen jetzt Schritt für Schritt einzelne Maßnahmen auf den Weg gebracht und umgesetzt werden. Zudem werden wird die Senatsverwaltung für Finanzen bis Ende der Legislaturperiode eine belastbare und langfristige Personalbedarfsplanung aufstellen.

Gleichzeitig stellen traditionelle Arbeitsabläufe und Arbeitsmethoden sowie der noch zu geringe Digitalisierungsgrad der Verwaltung eine große Herausforderung für die Modernisierung der Berliner Verwaltung dar. Sowohl für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch für die Bürgerinnen und Bürger muss Berlin deshalb schnellstmöglich die Möglichkeiten der Digitalisierung umfassend nutzen und die digitale Transformation mit aller Kraft vorantreiben. Die Verwaltung muss in die Lage versetzt werden, mit moderner und zeitgemäßer Technik zu arbeiten – und zwar sicher, verlässlich und gleichzeitig agil und ortsunabhängig. Zugleich müssen die Potentiale der Digitalisierung voll ausgeschöpft, Vorgänge (wo möglich) automatisiert und beispielsweise Künstliche Intelligenz bzw. robotergesteuerte Prozessautomatisierung zur Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingesetzt werden. Parallel dazu müssen für unsere Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft möglichst viele Dienstleistungen möglichst unkompliziert online angeboten werden. Dafür wird die Senatsverwaltung unter Federführung bzw. Koordination der Senatskanzlei / der CDO jetzt Schritt für Schritt das vorhandene Onlineangebot erweitern und nutzerfreundlicher gestalten. Ziel bleibt dabei ein vollständig medienbruchfreier Verwaltungsprozess.

Einen weiteren zentralen Baustein für eine grundlegende Modernisierung der Berliner Verwaltung hin zu einer funktionierenden Stadt stellt ein zukunftsfähiges bezirkliches Finanzierungsmodell dar. Der Senat hat sich in den Richtlinien der Regierungspolitik dazu bekannt, für die Bezirke Planbarkeit und Verlässlichkeit zu sichern und dafür die Bezirksfinanzierung unter Betrachtung der Kosten-Leistungs-Rechnung zu überprüfen. Dabei sollen die Bedarfe der Bezirke und Anreize zur Wirtschaftlichkeit berücksichtigt werden. Gleichzeitig muss das Konnexitätsprinzip konsequenter umgesetzt und bei der Zuordnung von bezirklichen Aufgaben sichergestellt werden, dass die dafür benötigten Ressourcen tatsächlich zur Verfügung stehen. Ziel muss sein, gutes Verwaltungshandeln anzuerkennen und bestehende Fehlanreize zu beseitigen. Denn: gutes Verwaltungshandeln muss sich auch finanziell positiv auf die Bezirke auswirken – und umgekehrt. Unter Federführung der Senatsverwaltung für Finanzen wird dazu das bezirkliche Finanzierungsmodell evaluiert werden. Die Inhalte und die Ausgestaltung dieses Prüfungsprozesses werden Gegenstand einer gesonderten Senatsvorlage sein, die von der Senatsverwaltung für Finanzen vorgelegt wird.

Neben klaren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, einem modernen Personalmanagement, der Digitalisierung der Verwaltung sowie einem transparenten Finanzierungsmodell muss für eine umfassende Modernisierung der Berliner Verwaltung auch das Vergabewesen in den Blick genommen werden. Denn: Das bestehende Vergabewesen erweist sich oftmals als zu zeit- und ressourcenaufwändig, um als Verwaltung überhaupt agil handeln zu können. Unter Federführung der Senatskanzlei / der CDO soll deshalb ein Konzept für eine Modernisierung und zeitgemäße Organisation des Vergabewesens erarbeitet werden. Ziel muss sein, die Handlungsfähigkeit der Verwaltung zu verbessern und gleichzeitig die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entlasten. Die Modernisierung des Vergabewesens stellt damit eine weitere Maßnahme auf dem Weg hin zu einer auf allen Ebenen funktionierenden, handlungs- zukunftsfähigen Stadt dar.


erschienen in Forum Nr. 109, Oktober 2023