Städtepartnerschaften als Brückenbauer in Zeiten der Krise

Aus SGK Berlin
Michael Müller

von Michael Müller, Mitglied des Deutschen Bundestages

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markiert nicht nur eine Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, sondern verändert auch den Blick auf die Bedeutung von Städtepartnerschaften.

Enge Beziehungen zwischen Kommunen aus verschiedenen Ländern haben in den letzten Jahrzehnten eine wichtige Rolle bei der Förderung der Völkerverständigung gespielt. Die Gründung von Städtepartnerschaften entstand in der Nachkriegszeit, die stark von Bestrebungen zur Versöhnung und Annäherung in Europa geprägt war. Sie lag dem Gedanken zugrunde, dass die Schaffung eines dauerhaften Friedens nicht allein durch politische Abkommen und Verträge erreicht werden konnte. Stattdessen wurde die zwischenmenschlichen Beziehungen in den Fokus gestellt und die Kommunen als Orte des Austauschs und der vielfältigen und Begegnungsmöglichkeiten zwischen den Bürger:innen gestärkt.

Die Folgen der russischen Invasion in die Ukraine machen sich auch in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene deutlich bemerkbar. Zum einen hat sich die Anzahl der Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und der Ukraine seit dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs mehr als verdoppelt. Diese Entwicklung spiegelt die Solidarität und Unterstützung vieler deutschen Kommunen wider. Zudem leisten sie neben der materiellen und humanitären Hilfe auch einen wertvollen Beitrag zur Stabilisierung und Wiederaufbau der ukrainischen Gesellschaft.

Mit Russland hingegen wurde der städtepartnerschaftliche Austausch in Deutschland massiv eingeschränkt. Ausgelöst durch den Krieg sind viele russisch-deutsche Städtepartnerschaften weitestgehend auf Eis gelegt worden, wodurch derzeit keine aktive zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit oder direkten Austauschprojekte mehr stattfinden. Gleichzeitig haben der Krieg und der Schulterschluss zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping zu einem Umdenken in Bezug auf Deutschlands Beziehung zu China geführt. Peking wird nicht mehr primär als reiner Handelspartner wahrgenommen, sondern als geopolitischer Akteur, der im Wettbewerb um Einfluss und Macht in der Welt eine bedeutende Rolle spielt. Die deutsche China-Politik befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen Zusammenarbeit und Kooperationen auf der einen Seite und Wahrung der sicherheitspolitischen Interessen auf der anderen Seite.

Die jüngste Debatte um die Städtepartnerschaft zwischen Kiel und der ostchinesischen Stadt Qingdao offenbart diese Schwierigkeit. Die geplante Partnerschaft zwischen den beiden Städten wurde nach monatelanger Kritik und Diskussion seitens der Stadt Kiel gestoppt. Der Grund für die Ablehnung ist die Sorge, dass China unter dem Deckmantel der Städtepartnerschaft versucht, Militärspionage in den Kieler U-Boot-Werften zu betreiben.

Es ist wichtig und notwendig, dass in Deutschland eine kritischere Betrachtung der Kooperation mit China stattfindet und eine verstärkte Sensibilisierung für potenzielle chinesische Einflussnahme erfolgt Dennoch wäre es falsch, die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Städten ausschließlich von der gegenwärtigen politischen Stimmungslage abhängig zu machen. Denn gerade die kommunale Ebene ermöglicht es, zwischenstaatliche Differenzen und Konflikte zu überwinden, sodass Bürger:innen aus unterschiedlichen Ländern sich näher kommen und Brücken der Verständigung aufbauen können. Bei der Ausgestaltung der kommunalen Partnerschaft geht es darum, den Dialog und den Austausch über die Grenzen hinweg zu stärken, Begegnungsräume und Kontakte jenseits von staatlichen Strukturen zu ermöglichen, und Beziehungen zwischen den Menschen aufzubauen.

Auch und gerade in schwierigen Zeiten ist es wichtig, die bestehenden Beziehungen zwischen Städten aufrechtzuerhalten und die Kommunikationskanäle offenhalten. Die Kooperationsbereiche auf kommunaler Ebene sind sehr vielfältig. Sie reichen von wirtschaftlichen Beziehungen über kulturellen Austausch und Bildungskooperationen, Begegnungen von jungen Menschen, Studierenden und Sportler:innen bis hin zu gemeinsamen Projekten im Bereich Klima und Nachhaltigkeit. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die Beziehungen zwischen Kommunen und den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu gestalten, ohne dabei nationale Sicherheitsrisiken und moralische Werte zu vernachlässigen. Und auch wenn sich die großen Fragen und Konflikte nicht auf lokaler Ebene lösen lassen, leisten Städtepartnerschaften einen wertvollen Beitrag, um wechselseitige Vorurteile und Misstrauen zu überwinden und langfristig Vertrauen zwischen den Bevölkerungen aufzubauen.

In meiner Zeit als Regierender Bürgermeister von Berlin und als Präsident des Städtenetzwerks Metropolis habe ich selbst viele Partnerstädte besucht und gleichzeitig die Bürgermeister:innen aus diesen Städten in unserer Hauptstadt empfangen. Jenseits der nationalen Regierungen war es mir hier möglich vertrauensvoll über das Verbindende und gemeinsame Herausforderungen zu sprechen. Ich halte es deswegen auch in Anbetracht der Zeitenwende weiterhin für wichtig auf Städtepartnerschaften zu setzten und die Kommunen zu ermutigen als Orte des Austauschs, der Begegnung und der Verständigung zu agieren.


erschienen in Forum Nr. 109, Oktober 2023